Winfried Scharlau ist tot. Er ging ruhig und friedlich am 26.11.2020, er ist einfach so eingeschlafen. Ich möchte hier einen kleinen Nachruf schreiben, ihm zu Ehren und seiner Familie zu Gefallen.
Winfried, du warst ein sehr netter, freundlicher, höflicher und auf keinen Fall lauter älterer Herr! Und weil du Hobbyornithologe warst, kannten wir beide uns!
Wir beide sahen uns erstmals auf dem Napoleonhügel an der E1 – für Nichteingeweihte: Das ist die große Erweiterungsfläche der Rieselfelder Münster. Dort triebst Du Dich – damals für mich noch Herr Scharlau – gerne herum, so wie wir Hobbyornithologen aus Münster sowieso alle gerne dort sind, um Seltenheiten auf der E1 zu finden.
Wir sind dann, wie das unter Naturfreunden oft geschieht, in`s Gespräch gekommen. Vielleicht habe ich damals zu dem Herren, der dort mit Spektiv stand (Dir!), gesagt: “Moin, schon was Schönes gesehen?”. Und Du antwortetest “Moin, nein, ist nichts da! Und selbst?” Ich: „Ja, auf der anderen Seite sind ein paar Bartmeisen.“ Und schon war man in´s Gespräch vertieft, stellte fest, man versteht sich und war nach kürzerer “Einarbeitung” und Feststellung, dass der andere ein netter Kerl ist, der auch was von der Vogelkunde versteht, schon beim „Du“ angekommen! Unter uns Ornis geht das schnell!
Man sah sich öfter in den Rieselfeldern, Du hattest mittlerweile erkannt, dass ich gerne Vögel fotografiere, so wie Du auch. Da musste man sich dann fast schon notgedrungen austauschen und auch die Telefonnummern waren schnell gewechselt. Und so sah man dich bei Deinem Hobby, hier Beispiele aus dem Norden (Helgoland Oktober 2020, Beltringharder Koog August 2019).
Deine Anrufe kamen vor allem, wenn ich vor Dir seltene Arten gemeldet hatte. “Hallo Hauke, hier ist Winfried, ist die Weißflügelseeschwalbe noch da?” Solche Telefonate dauerten stets nur ca. 15s, denn Eile war geboten! Dann traf man sich am Ort des Geschehen – denn Du wohntest ja nicht allzuweit entfernt.
Nun hatten wir nicht nur “Vogelgespräche”, Du warst belesen und mathematisch begabt. Mehr als das, Du warst in der Mathematik so zu Hause, dass diese sogar zu Deinem Arbeits- und Lebensinhalt (neben Familie, Griechenland, Romanschreiberei, Vogelkunde…) wurde: „Ab 1970 war er Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster (zuletzt Direktor), wo er 2005 emeritierte. Scharlau befasste sich mit Zahlentheorie und insbesondere der Theorie quadratischer Formen, über die er eine Monographie in Springers Grundlehren-Reihe verfasste.“ Aus https://de.wikipedia.org/wiki/Winfried_Scharlau_(Mathematiker)
35 Jahre lang eine Professur innehaben! Das ist doch mal was!
Genau diese (für viele vielleicht etwas merkwürdige Neigung) brachte uns auch auf ganz und gar „unvogelige“ Gespräche, von denen ich mich besonders an Eines erinnere. Ich fragte Dich, Winfried, nach mathematischen Problemen und sofort hattest Du – wer auch sonst? – ein paar Probleme parat. In Erinnerung ist mir das Diktatorenproblem geblieben: Man hat eine Kugel (z.B. einen besiedelbaren Planeten), auf der 50 Diktatoren leben, die natürlich alle möglichst viel Land haben wollen. Weil alle gleich stark sind, müssen sie sich möglichst gleichmäßig über die Oberfläche verteilen. Das sollte doch zu lösen sein! – dachte ich in meiner naiven Vorstellung als armseliger Mathelehrer. Das Internet half auch nicht weiter – viel zu kompliziert, das Ganze! Auf jeden Fall macht mir dieses „Problem“ zwar nicht mehr zu schaffen, aber es wird mich immer an Dich, Winfried, erinnern!
Zurück zur Vogelkunde: Natürlich warst Du auch vielen anderen Ornis aus Münster bekannt, beispielsweise auch dem „Vogelkundler“ aus den Rieselfeldern schlechthin: Holger Lauruschkus! Als ich Holger von Deinem plötzlichem Ableben berichtete, fuhr er, wie ich wenige Tage zuvor auch, sichtlich erschrocken zusammen! „Ach Gott“ war sein erster Kommentar, ich dachte damals „oh mein Gott“ – obwohl ich nicht gläubig bin. Das kam dann doch sehr plötzlich, viel zu plötzlich, für uns alle! Hier sieht man Dich inmitten „Deiner“ Vögel in Deiner Berliner Wohnung – die Liebe zur Vogelkunde ist unverkennbar!
Du machtest auch erste Versuche mit einer Homepage (hier: http://www.scharlau-online.de/), die allerdings nicht so recht weiter entwickelt wurde – Du warst wohl einfach zu oft draußen bei „Deinen“ Vögeln! Ich kann Dich da sehr gut verstehen, lieber Winfried!
Du schriebst Bücher, meist mathematischen Inhalts (etwa dieses: „Von Fermat bis Minkowski: Eine Vorlesung über Zahlentheorie und ihre Entwicklung“), aber auch zwei Romane (die ich beide nicht kenne, so wie ich Deine Mathematik vermutlich auch nicht in Ansätzen verstehen würde) „I megali istoria – die große Geschichte“ (sogar schon zwei Auflagen!) und „Scharife“ – beide zuletzt bzw. erstmals 2001 aufgelegt. Da deutet sich auch eine gewisse Mehrsprachigkeit an, vorstellen kann man sich das bei Dir auf jeden Fall!
Wie sich das für einen hochgebildeten Menschen gehört, hast Du natürlich Reisen gemacht und Vorträge gehalten. Bei der Nachsuche fand ich dieses Bild, was Dich ganz typisch zeigt: Kein Schlips, aber korrekt gekleidet und stets ein wenig sympathisch zerzaust!
Lieber Winfried, Du wirst mir und uns als liebenswerter, stets freundlicher und oft auch sachkundiger Ornikollege, der mit viel Begeisterung für Vieles durch sein Leben lief, in Erinnerung bleiben!
Eines allerdings nehme ich Dir ein wenig übel – aber zum Ausgleich möchte ich mich bei Dir für etwas anderes noch ganz herzlich bedanken:
Winfried, dass Du einfach so gegangen bist, bevor wir zusammen zur Bislicher Insel gefahren sind, das finde ich nicht nett! Da wollten wir doch noch hin!
Und Danke möchte ich sagen für Dein großzügiges Angebot, Deine Wohnung in Berlin “einfach so” zu nutzen, wenn meine Partnerin und ich einmal dort hin fahren sollten.
Zu beidem ist es ja nun nicht mehr gekommen! Ich bin Dir nicht böse, aber ein wenig (vielleicht auch ein wenig mehr) traurig bin ich schon, dass Du nun nicht mehr hier bist!
Mache es gut, grüße mir die Vögel, die du nun „da oben siehst“, vielleicht hast Du nun auch das Diktatorenproblem gelöst – denn in der neuen Welt ist vielleicht vieles ganz anders und ganz leicht. Ich stelle mir vor, du sitzt auf Wolke 7 und spielst Harfe, rechnest dabei ein wenig, schreibst Deinen dritten Roman, malst ein Vogelbild und hältst einen Vortrag – aber stets mit Fernglas und Fotoapparat!
Ich hoffe, wir sehen uns wieder…
Dein Orni-Kollege und Orni-Freund Hauke – für viele andere, die Dich kannten!
Nachtrag: Vielen Dank für die Bildrechte und an Jutta Scharlau, die mir mit den Bildern sehr geholfen hat! Leider konnte der Nachruf heute erst erscheinen, die Bilder mussten unbedingt mit hinein! Dies ging vorher nicht.